Synonym: Vitamin H, Vitamin B7
Englisch: biotin
Inhaltsverzeichnis
- 1 Definition
- 2 Struktur
- 3 Funktion
- 4 Vorkommen
- 5 Bedarf
- 6 Mangel
- 6.1 Ätiologie
- 6.2 Symptome
- 6.3 Diagnostik
- 6.4 Therapie
- 6.5 Prophylaxe
- 7 Intoxikation
- 8 Labormedizin
- 9 Quellen
Definition
Biotin ist das zur Gruppe der B-Vitamine gehörige wasserlösliche Vitamin H (oder auch Vitamin B7). Es dient im Organismus inbesondere zur Übertragung von Carboxylresten.
Struktur
Das Biotin-Molekül besteht aus einem Tetrahydrothiophen- und einem Imidazolidinring, von dem ein Pentanatrest abgeht, über den das Molekül kovalent an verschiedene Enzyme gebunden werden kann.
Funktion
Biotin fungiert im Organismus als prosthetische Gruppe von Carboxylasen, die nicht Vitamin-K-abhängig sind. Hierbei dient es der transienten Bindung einer Carboxylgruppe vor Übertragung auf das Zielmolekül. Zu den Carboxylierungen zählen folgende Reaktionen:
- Acetyl-CoA zu Malonyl-CoA (vermittelt durch die Acetyl-CoA-Carboxylase im Rahmen der Synthese von Palmitinsäure und weiteren Fettsäuren)
- Pyruvat zu Oxalacetat (katalysiert durch die Pyruvatcarboxylase im Rahmen der Glukoneogenese)
- Propionyl-CoA zu Methylmalonyl-CoA (Propionyl-CoA ist das Endprodukt ungeradzahliger Fettsäuren und entsteht auch beim Abbau von Valin, Isoleucin, Methionin, Threonin; die Umwandlung zu Methylmalonyl-CoA ist der erste von drei Schritten bis hin zum Succinyl-CoA, das im Citratzyklus weiterverarbeitet wird; die Reaktion wird durch die Propionyl-CoA-Carboxylase katalysiert)
- 3-Methylcrotonyl-CoA zu 3-Methylglutaconyl-CoA (vermittelt durch die 3-Methylcrotonyl-CoA-Carboxylase während des Leucinabbaus)
In seiner Funktion als prosthetische Gruppe ist Biotin üblicherweise kovalent an das jeweilige Enzym gebunden: Biotin bildet mit seiner Carboxylgruppe und der ε-Aminogruppe eines Lysinrestes des Enzyms eine Amidbindung aus und formt so einen Biotin-Enzym-Komplex. Diese Reaktion wird durch die Holocarboxylase-Synthetase (HLCS) katalysiert. Um CO2 zu binden, muss dieses zuvor unter ATP-Verbrauch aktiviert werden, so dass Carboxyphosphat entsteht. Dieses geht anschließend eine kovalente Bindung mit einem Stickstoffatom des Imidazolrings von Biotin ein, so dass als Intermediat ein Carboxybiotin-Enzym-Komplex entsteht. Als letzter Schritt wird nun die aktivierte Carboxylgruppe auf das Substrat übertragen. Um Biotin wiederzuverwerten, spaltet die Biotinidase den Biotin-Enzym-Komplex.
Weiterhin spielt Biotin eine Rolle bei der Desaminierung der Aminosäuren Asparaginsäure, Serin und Threonin, bei der Citrullinbildung im Harnstoffzyklus, der Purinsynthese und der oxidativen Phosphorylierung. Darüber hinaus scheint Biotin vielfältig an der Regulation der Genexpression beteiligt zu sein, z.B. durch Veränderung der Chromatinstruktur durch Biotinylierung von Histonen.
Vorkommen
Biotin kommt in hoher Konzentration in Leber, Hefe und im Eigelb vor. Wichtige Biotinquellen sind Milch-, Vollkornprodukte, Blumenkohl, Bohnen und Hülsenfrüchte. Es wird aber auch von den körpereignen Darmbakterien synthetisiert. Ob dieses Biotin jedoch verwertet werden kann, ist aktuell (2019) unklar.
Die Bioverfügbarkeit von Biotin aus verschiedenen Quellen unterscheidet sich erheblich. Da Biotin insbesondere in tierischen Nahrungsmitteln proteingebunden vorkommt, muss es erst durch die Biotinidase in die freie Form gespalten werden. Dann wird es im proximalen Dünndarm mittels sekundär aktivem Transport gegen Natriumionen aufgenommen.
Bedarf
Der Tagesbedarf für Biotin liegt bei ca. 30 bis 70 µg.
Eine aktuell (2019) noch unzuverlässige Analytik, eine nicht kalkulierbare enterale Synthese, die variable Bioverfügbarkeit und die erst spät auftretende Mangelsymptomatik erschweren die Angaben einer optimalen Versorgung. Entsprechend schwanken die empfohlenen Werte zwischen den verschiedenen Studien.
Mangel
siehe Hauptartikel: Biotinmangel
Ätiologie
In Deutschland beträgt die durchschnittliche Tageszufuhr von Biotin ca. 100 bis 300 µg. Entsprechend ist ein alimentär bedingter Mangel sehr selten.
Ein subklinischer Mangel kann labordiagnostisch häufig bei Schwangerschaft, Alkoholismus, partieller Gastrektomie, Achlorhydrie, Verbrennungen, alten Menschen und Extremsportlern gefunden werden. Ob dies Auswirkungen auf die Gesundheit hat, ist aktuell (2019) nicht geklärt.
Mögliche Ursachen eines manifesten Mangels sind:
- extreme Mangelernährung
- langdauernde parenterale Ernährung (ohne Biotinzusatz)
- Hämodialyse
- langdauernde Therapie mit Antikonvulsiva (v.a. Primidon, Carbamazepin) oder Antibiotika sowie mit Valproat bei Kindern
- Verzehr großer Mengen von rohen Hühnereiern (mehrere pro Tag): Das rohe Hühnereiweiß enthält das Glykoprotein Avidin, das Biotin im Darm bindet und seine Resorption blockiert.
- angeborener Biotinidase-Mangel
- angeborener Halocarboxylase-Synthetase-Mangel
Symptome
- schuppige, seborrhoische Dermatitis
- Alopezie
- Übelkeit, Erbrechen
- Konjunktivitis
- Fettleber
- Muskelschmerzen
- Anämie
- Hypercholesterinämie
- neurologische Symptome: Lethargie, Bewusstseinsstörungen, Krampfanfälle, Innenohrschwerhörigkeit, Optikusatrophie
- bei Kindern: Hypotonie, Trinkschwäche, Entwicklungsstörungen
- bei Erwachsenen: Hyperästhesien, Parästhesien, Halluzinationen, Ataxie
Außerdem wird ein Biotinmangel wird mit dem plötzlichen Kindstod in Verbindung gebracht.[1]
Weiterhin zeigen Untersuchungen einen Wirkungseffekt einer hochdosierten Biotingabe bei der multiplen Sklerose.
Diagnostik
Die Labordiagnose eines Biotinmangels kann durch eine verminderte Harnkonzentration von Biotin (oder seiner Metaboliten), eine erhöhte Urinexkretion von 3-Hydroxyisovaleriansäure (z.B. nach einer Leucin-Probe) oder der reduzierten Aktivität biotinabhängiger Enzyme in den Lymphozyten (z. B. Propionyl-CoA-Carboxylase) gestellt werden.
Für Biotin kann zwar der Serumspiegel bestimmt werden, dieser bleibt jedoch auch bei einem Mangel lange Zeit unverändert und eignet sich daher nur schlecht für eine Diagnose.
Therapie
Falls möglich, sollte eine Therapie der evtl. vorhandener Ursachen (z. B. Grunderkrankungen) erfolgen. Weiterhin muss Biotin substituiert werden.
Prophylaxe
- Schwangerschaft: Insbesondere im 3. Trimenon kann es leicht zu einer Unterversorgung an Biotin kommen. Ob sich tierexperimentell bestätigte teratogene Effekte eines Biotinmangels auch auf den Menschen übertragen lassen, ist aktuell (2019) noch unklar. Eine Supplementierung mit 30 µg ist zu erwägen
- brüchige Fingernägel: Einige kleine Studien haben eine Wirkung von Biotin bei brüchigen Fingernägeln dokumentiert, allerdings kann daraus kaum eine allgemeine Empfehlung abgeleitet werden.
- Haarverlust: Ein schwerer Biotinmangel führt zu Haarverlust. Der Umkehrschluss, dass Haarverlust mit Biotin therapiert werden kann, trifft allerdings nicht zu.
Intoxikation
Erscheinungen einer Biotin-Intoxikation sind bisher nicht beschrieben. Bei der Behandlung genetischer Ursachen des Biotinmangels sind Dosierungen von 200 mg (oral) oder 20 mg (parenteral) gut vertragen worden. Einige Autoren berichten von Diarrhö nach massiver Aufnahme des Vitamins.
Labormedizin
Die starke Affinität von Biotin zu Avidin bzw. Streptavidin wird in der Labormedizin vielfach genutzt, insbesondere bei Immunassays. Zum Beispiel kann ein monoklonaler Antikörper an Biotin gekoppelt werden, die Festphase wird mit Streptavidin beschichtet, und mit dieser Kombination kann ein bestimmter Analyt aus dem Serum isoliert und gemessen werden.
Die Anwesenheit hoher Konzentrationen von Biotin im Patientenplasma stört diesen Aufbau, wobei je nach Testsystem falsch hohe oder falsch niedrige Ergebnisse entstehen können. Hierzu wurden diverse Fallberichte veröffentlicht. Das Problem erlangt zunehmende Bedeutung, da hoch dosiertes Biotin als Medikament in der Neurologie verstärkt eingesetzt wird.[2] Im Mai 2019 wurde hierzu ein Rote-Hand-Brief veröffentlicht.[3]
Quellen
- ↑ Johnson AR et al. Biotin and the sudden infant death syndrome, Nature. 1980 May 15;285(5761):159-60, abgerufen am 26.09.2019
- ↑ Piketty ML et al. False biochemical diagnosis of hyperthyroidism in streptavidin-biotin-based immunoassays: the problem of biotin intake and related interferences. Clin Chem Lab Med 2017; 55(6): 780–788, abgerufen am 26.09.2019
- ↑ BfArM Risiko falscher Ergebnisse von Laboruntersuchungen durch Biotininterferenzen Mai 2019, abgerufen am 26.09.2019